Leserbrief an Teaglich.ME zum Artikel „Finanzschwachen Kommunen droht Handlungsunfähigkeit“ vom 22.09.22
In einem Leser-Brief an die TME-Redaktion nahm ich wie folgt Stellung zur Diskussion um den Nachtragshaushalt in Wülfrath und die Postkartenaktion des überparteilichen „Bündnis zur Würde der Städte“:
Wer will sie nicht: „Eine Altschulden-Lösung sowie eine aufgabenangemessene Finanzausstattung der Kommunen.“? Ich bin schon lange dafür – als Bürger und Ratsmitglied einer betroffenen Kommune, die Jahr für Jahr um den Haushaltsausgleich kämpft, aber auch als das für Wülfrath und andere stark verschuldete Städte meines Wahlkreises zuständige Mitglied im Landtag.
Über 17 Mio. Euro sind allein von 2017 bis 2021 aus allgemeinen Zuweisungen des Landes nach Wülfrath geflossen – so viel wie nie zuvor. Auch im Jahr 2022 wird Wülfrath wohl weitere GFG-Mittel in einer Höhe von über 4 Mio. Euro erhalten. Nicht enthalten in diesen Zahlen sind viele weitere Hilfen von Land (und Bund) zur Stadtentwicklung, zur Innenstadtförderung, zur Digitalisierung und vieles mehr sowie weitere Förderprogramme, von denen – etwa bei der Heimat- oder Sportförderung – nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch viele ehrenamtliche Organisationen in Wülfrath Jahr für Jahr profitieren.
Die Finanzprobleme viele Kommunen und ihre Ursachen sind deshalb viel komplexer und bedürfen einer differenzierten Betrachtung:
Nicht alle „Altschulden“ sind auf Überlastungen durch Bund und Land zurückzuführen. In Wülfrath wurde etwa in der „Ära Peetz“ nach der Jahrtausendwende innerhalb von wenigen Jahren aus Kassenkrediten ein dauerhafter Schuldenturm von über 40 Mio. Euro aufgebaut. Trotz vieler Bemühungen haben ihn nachfolgende Kämmerer und Räte nicht mehr nachhaltig abbauen können.
Es muss deshalb auch vermieden werden, dass zukünftig im ‚Normalbetrieb‘ neue Schulden entstehen. Seit 2017 hat es deshalb von Landesseite keine neuen Aufgabenübertragungen auf die Kommunen ohne entsprechende Finanzzuweisungen gegeben (Beispiel: Umstellung von G8 auf das neue G9). Und die vor zwei Jahren von uns in NRW angestoßene und im Bund umgesetzte Änderung der Verteilung der „Kosten der Unterhaltung“ hat die Kommunen dauerhaft (!) um jährlich 1 Mrd. Euro entlastet. Das sind die richtigen Signale.
Wie hoch ist aber eine „aufgabenangemessene Finanzausstattung“? Die Frage stellt sich insbesondere für bereits seit vielen Jahren wahrgenommenen Aufgaben? Bei Transferaufwendungen wie Sozialkosten (wie die zuvor genannten Kosten der Unterhaltung) ist das noch vergleichsweise einfach zu ermitteln. Für viele weitere Aufgaben gibt es aber gar keine verlässlichen Zahlen – weder aus Wülfrath noch landes- oder bundesweit. Vielleicht wäre es eine lohnende Aufgabe für das Aktionsbündnis, diese Mittel aufgabenspezifisch zu ermitteln und so eine Verhandlungsgrundlage mit Bund und Ländern zu ermitteln.
Grundsätzlich gilt, dass es für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben – für jede Ebene – immer nur drei Möglichkeiten: die Reduzierung anderer öffentlicher Aufgaben, die Erhebung zusätzlicher Steuern oder neue Schulden auf Kosten der nächsten Generation. Die derzeitige Überlastung der öffentlichen Hand trifft alle Ebenen – Bund, Länder und Kommunen. Sie sind Folgen einer Pandemie und eines Krieges, die beide nicht vorhersehbar waren. Deshalb werden auf allen drei Ebenen derzeit „Rettungsschirme“ aufgespannt, die nichts anderes sind als neue Schulden. Ob das gut geht – und wenn ja, wie lange, lässt sich nicht vorhersagen. Sind Steuererhöhungen oder Leistungskürzungen aber wirklich bessere Alternativen?
Der ukrainische Außenminister hat unsere Situation etwas zugespitzt wie folgt beschrieben: „Euch geht es um den Komfort, uns ums Überleben.“ Deshalb würde das Kalkül des Kriegstreibers und Antidemokraten Putin aufgehen, wenn in der politischen Diskussion immer von der jeweils anderen Ebene zusätzliche Finanzmittel gefordert würden. Lassen wir uns gemeinsam nach fairen Lösungen suchen, denn wir sitzen alle im gleichen Boot.